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75 Jahre dgp
Vorbild für Verantwortung

1949 war ein Jahr des Umbruchs und des Aufbruchs für Deutschland. Die Bevölkerung war nach den Jahren des Krieges zwar geschwächt, aber willens, hart für eine erfolgreiche Zukunft zu arbeiten. In diesem Jahr wurden zwei deutsche Staaten gegründet: die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik.

Im Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet, das die politischen Grundlagen für den Aufbau einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft legte. Auch das Personalwesen und insbesondere die Personalauswahl sollte fortan demokratischen Prinzipien folgen. Sich dafür einzusetzen und geeignete Maßnahmen zu entwickeln, wurde der Satzungsauftrag der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e. V. (dgp), die ebenfalls 1949 gegründet wurde. Bis heute nimmt sich die dgp dieser Verantwortung an und arbeitet entlang ihrer Leitwerte Fairness, Transparenz und Wissenschaftlichkeit.

1948 – 1950

Gründungsjahre

General John Jay McCloy (Mitte), amerikanischer Hochkommissar für Deutschland zwischen 1949 und 1952. Die Amerikanische Militärregierung setzt sich beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg für eine Demokratisierung des deutschen Personalwesens ein. (Quelle: National Archives and Records Administration)

1948–1949

Deutschland nach dem Krieg: Demokratisierung der Personalpolitik

Frankfurt am Main, 1948: Der Krieg ist vorbei, Deutschland ist von den Alliierten besetzt und in vier Zonen aufgeteilt. Die Amerikanische Militärregierung unter General McCloy hat vor allem ein Ziel: Die deutsche Bevölkerung zur Demokratie erziehen.

Auch der öffentliche Dienst als einer der Eckpfeiler der Gesellschaft muss demokratisch reformiert werden: Sonderrechte für Beamt*innen sollen beschnitten, Stellen nur noch nach dem Leistungsprinzip vergeben werden. Das stößt bei der Beamtenschaft und in konservativen Kreisen auf heftigen Widerstand.

Daraufhin gründet die Militärregierung in der englisch-amerikanische Bizone ein eigenes Personalamt, das die Aufgabe erhält, den öffentlichen Dienst von Grund auf neu zu gestalten. Ihr Leiter wird der progressive Politiker Dr. Kurt Oppler. [1]

Dr. Kurt Oppler

Kurt Oppler (1902–1981) trat 1926 der SPD bei und war 1931 Gründungsmitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Als Jude wurde ihm 1937 von den Nationalsozialisten die Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalts verboten. Er emigrierte 1938 und schloss sich in Belgien der Résistance an.

1946 kehrt er nach Deutschland zurück. Im Kampf um die Reform des Öffentlichen Dienstes wirbt er vehement für mehr Demokratie und Chancengerechtigkeit. Die Militärregierung beauftragt ihn, eine Personalgesellschaft zu gründen, die sich für die Demokratisierung des öffentlichen Dienstes einsetzt. Zu diesem Zweck lädt er, gemeinsam mit dem Leiter des Landespersonalamtes Wiesbaden Dr. Martin Draht, im Januar 1949 die wichtigsten Vertreter*innen des deutschen Personalwesens zu einer Tagung nach Königstein ein. [2]

Dr. Kurt Oppler, Gründervater der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen. (Quelle: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts. Trotz intensiver Nachforschung ist es uns leider nicht gelungen, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen. Berechtigte Ansprüche werden natürlich honoriert.)
Dr. Kurt Oppler veröffentlicht die Erkenntnisse, die er auf seinen Auslandsreisen gewinnt und erhält dafür die Anerkennung seiner Fachkolleg*innen. [7] (Quelle: dgp-Archiv)

1949

Die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e.V.

Auf der Tagung in Königstein am 4. Januar 1949 wird beschlossen, eine zentrale Stelle zu schaffen, die sich mit Problemen des Personalwesens beschäftigt. Eine zu diesem Zweck gebildete Kommission beschließt am 11. Februar 1949 die Gründung der „Deutschen Gesellschaft für Personalwesen“.[3] Drei Monate später ist es so weit: Die sieben ersten Mitglieder – davon immerhin eine Frau – rufen am 1. April 1949 die „dgp“ ins Leben.[4] Sitz ist Frankfurt am Main, in der Bockenheimer Anlage 45.[5] Von Anfang an spielt der sehr engagierte ehrenamtliche Vorstand, der sich aus Personalpraktiker*innen der öffentlichen Verwaltung zusammensetzt, eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und dem Ausbau des Vereins.

Damals wie heute ist die dgp ein eingetragener Verein ohne Gewinnabsicht. Ihr Ziel ist der „Aufbau eines gesunden, fortschrittlichen, demokratischen Personalwesens in Verwaltung und Wirtschaft“. Die dgp will dafür sorgen, dass offene Stellen fair und transparent besetzt werden. Leistung soll der ausschlaggebende Faktor sein, und nicht gute Beziehungen.

Um herauszufinden, mit welchen Methoden die Leistung von Kandidat*innen objektiv getestet und zuverlässig vorhergesagt werden können, unternimmt Kurt Oppler mit fünf Kolleg*innen eine Studienreise in die USA und macht sich ein Bild des dortigen Personalwesens. Seine Ergebnisse veröffentlicht er in „Der öffentliche Dienst in den Vereinigten Staaten von Amerika“.[6]

1950

Die dgp leistet
Grundlagenarbeit

Die neue Deutsche Gesellschaft für Personalwesen e.V. vernetzt sich mit Wissenschaft, Behörden und Gewerkschaften. Sie veröffentlicht Leitfäden zur Zusammenarbeit von Beamt*innen und Bürger*innen und 1950 die ersten regelmäßigen „dgp Informationen“. [8] Die Zeitschrift informiert anfangs vor allem über die sich laufend ändernde Rechtslage im Personalwesen der jungen Bundesrepublik.

Zugleich treibt die dgp die Forschung voran: In Zusammenarbeit mit dem Psychologischen Institut der Universität Göttingen werden erste eigene Testverfahren für eine wissenschaftliche Personalauswahl erprobt. Bei ihrer Arbeit legt die dgp die Qualitätskriterien Objektivität, Zuverlässigkeit und Gültigkeit zugrunde, die der Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Kurt Wilde formuliert hat. Sie sind auch heute noch entscheidende Kriterien in der psychologischen Testentwicklung. [9]

In weiteren Studienreisen informieren sich Kurt Oppler und sein Team über die Organisation des Personalwesens in Frankreich, Großbritannien, Schweden, Norwegen und der Schweiz. [10]

Die Titelseite der ersten „dgp Informationen“, erschienen im September 1950. (Quelle: dgp-Archiv)

Die Neugestaltung des öffentlichen Dienstes, 1950

Berufsbilder aus Verwaltung und Wirtschaft, 1951

Der Test in der Eignungs-Untersuchung, 1951

1951 – 1969

Die dgp im
Wirtschaftswunder

1951-1953

Die dgp wird selbstständig

Mit dem Wirtschaftswunder kommt die Vollbeschäftigung. Der Bedarf an Eignungsprüfungen für Jobanwärter*innen verdreifacht sich zwischen 1951 und 1953. Die Kundschaft der dgp kommt größtenteils aus dem öffentlichen Sektor, es sind Behörden der Kommunen, der Länder und des Bundes. Eine der ersten und wichtigsten Kund*innen ist die Frankfurter Straßenbahn.[11]

Die dgp zieht innerhalb Frankfurts in die Feldbergstraße 38 um, wo sie eigene Prüfräumlichkeiten zur Verfügung stellen kann.[12]

Doch trotz des Booms hat die dgp ein Problem: Die Alliierten ziehen sich aus den innenpolitischen Belangen der Bundesrepublik zurück und beenden ihre personelle und finanzielle Unterstützung der dgp. Nun muss sie auf eigenen Beinen stehen.[13]

Die Feldbergstr. 38 in Frankfurt, wo der dgp zum ersten Mal eigene Prüfräumlichkeiten zur Verfügung stehen.
(Quelle: Untere Denkmalschutzbehörde Frankfurt)

1953

Der erste
Gruppenintelligenztest:
Der IST von Amthauer

Mit viel Engagement gelingt es der dgp, neue Geldgeber ins Boot zu holen: Die Länder Hessen, Niedersachsen und Bremen sind zur Zusammenarbeit bereit und finanzieren weitere wissenschaftliche Forschung.

Rudolf Amthauer (1920–1989), Doktorand am Psychologischen Institut Göttingen, entwickelt in Zusammenarbeit mit der dgp den ersten genuin deutschsprachigen Gruppenintelligenztest. Der Intelligenz-Struktur-Test (IST) wird 1953 vom renommierten Hogrefe-Verlag in Göttingen veröffentlicht und avanciert rasch zum Standardtest für Eignungsprüfungen. [14]

Rudolf Amthauer entwickelt Anfang der 1950er Jahre den Intelligenz-Struktur-Test (IST), der sich rasch als Standard durchsetzt. (Quelle: Hoechster Firmenarchiv)
Adolf Otto Jäger leitet die dgp vierzehn Jahre lang. Er gilt noch heute als Koryphäe der Eignungsdiagnostik. (Quelle: Privatbesitz)

1954-1968

Der WILDE-Test und die „Ära Jäger“

Die Verbindung zum Göttinger Psychologischen Institut bleibt eng. 1954 wird der Göttinger Professor Dr. Kurt Wilde psychologischer Berater der dgp. In Zusammenarbeit mit ihr beginnt er die Entwicklung des WILDE-Tests. Dieser soll den inzwischen allgemein bekannten IST ablösen.

1955 übernimmt der Wilde-Schüler Adolf Otto Jäger die dgp-Leitung. Damals hat er gerade erst sein Studium am Göttinger Institut abgeschlossen, heute ist er eine Koryphäe der Intelligenzforschung. In Zusammenarbeit mit der dgp promoviert er und habilitiert sich. Jäger richtet eine dgp-Geschäftsstelle in Göttingen ein. Mit Unterstützung der Reg.-Direktorin Dr. Susanne Kriebel des Landespersonalamtes in Wiesbaden gelingt es der dgp 1965, am Psychologischen Institut der Universität Gießen eine Abteilung für angewandte Psychologie einzurichten. A. O. Jäger leitet sie und die dgp ab diesem Zeitpunkt in Personalunion.

Unter Jägers Leitung werden wissenschaftlich fundierte Bewährungsproben für Eignungstests eingeführt – seitdem das Markenzeichen der dgp. Als sein Vorgänger Kurt Wilde 1958 plötzlich verstirbt, führt Jäger dessen Forschungen fort und kann 1962 den WILDE-Intelligenztest fertigstellen. Dieser bleibt 20 Jahre lang Kernstück der dgp-Arbeit. [15]

Adolf Otto Jäger leitet die dgp vierzehn Jahre lang. Er gilt noch heute als Koryphäe der Eignungsdiagnostik. (Quelle: Privatbesitz)

Westdeutsche Studierende protestieren gegen das akademische System. (Quelle: Haus der Geschichte, Bonn, CC BY-SA 2.0)

1968-1970/79

Studentenbewegung
und interne Krise

Westdeutsche Studierende protestieren gegen das akademische System. (Quelle: Haus der Geschichte, Bonn, CC BY-SA 2.0)

Studierende protestieren in ganz Deutschland gegen die Verhältnisse an ihren Universitäten: Zu viele Lehrkräfte mit NS-Vergangenheit, zu wenig Chancengleichheit, verstaubte Lerninhalte.

Auch die Psychologie gerät ins Kreuzfeuer, und ganz besonders die Eignungstests. Die Studentenbewegung wirft ihr vor, das kapitalistisch-ausbeuterische System zu stützen. Frankfurt am Main wird neben Berlin zur Hochburg der Studentenproteste. Sympathisanten der Proteste gibt es auch in der dgp: Nach einem Zustrom privater Mitglieder aus dem kommunistischen Milieu kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Mitgliedern – die dgp droht zu zerreißen.

Als Konsequenz verlässt Leiter Peter Wolff, Jägers Nachfolger, die dgp bereits 1970 wieder. Die Frankfurter Geschäftsstelle bleibt bestehen, und die Auseinandersetzungen schwelen weiter bis 1979. Schließlich beschränkt die dgp die Mitgliedschaft auf juristische Personen und beendet damit den Versuch, die dgp ins linke Lager zu ziehen. Der Sitz des Vereins wird von Frankfurt nach Hannover verlegt [16] .

1970 – 1999

Neue Standorte,
neue Angebote

25 Jahre lang ist er Leiter der dgp: Dr. Klaus Althoff in seinem Büro in Hannover. (Quelle: dgp-Archiv)

1970

Die dgp startet durch

Ab 1970 geht es für die dgp in Hannover steil bergauf: Dr. Klaus Althoff wird Leitender Psychologe und behält diese Funktion für fast 25 Jahren – die längste Amtszeit an der dgp-Spitze. [17]

In Niedersachsen gewinnt die dgp besonders erfolgreich neue Kund*innen und berät zahlreiche Gemeinden bei der demokratischen und fairen Vergabe von Stellen.

Vermehrt tritt die dgp nun auch in den Medien auf: Sie beteiligt sich an einer sechsteiligen NDR-Dokumentation, indem sie ihr Wissen einbringt und die eigene Arbeit vorstellt. Radio- und Fernsehinterviews, etwa im ZDF, finden das zunehmende Interesse der Bevölkerung.

1972

Erweiterung der dgp-
Produktpalette: Seminarangebote

Um die dgp krisenfester zu machen, entwickeln Klaus Althoff und sein Team 1972 ein zweites Standbein: Neben Eignungsprüfungen bietet die dgp nun auch Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in öffentlichen Verwaltungen an. Anfangs wird jede Veranstaltung individuell auf den Auftraggeber zugeschnitten[18], im Laufe der Zeit etablieren sich aber feste Seminarthemen, die immer wieder nachgefragt werden.

Die Einführung der Seminare war ein „riskantes Pilotprojekt“, erinnert sich Klaus Althoff, denn den Psychologen der dgp fehlten damals noch die nötigen didaktischen Fähigkeiten. Sie lernen aber rasch, sodass das Seminarprogramm ein durchschlagender Erfolg wird und wichtige neue Kunden gewonnen werden. Aufträge kommen nun auch vermehrt aus der Privatwirtschaft, von BASF, Nixdorf oder Unilever. Zwischen 1970 und 1975 steigt der Jahresumsatz der dgp von 0,35 auf 2,5 Millionen D-Mark.[19]

Ein früher Seminarkatalog: Noch sind die Weiterbildungsangebote der dgp ein „riskantes Pilotprojekt“. (Quelle: dgp-Archiv)

In der Hochdahler Straße 280 in Hilden eröffnet die dgp ein weiteres Büro. Heute sitzt dort das Institut für öffentliche Verwaltung NRW / Landesprüfungsamt für Verwaltungslaufbahnen. (Quelle: Institut für öffentliche Verwaltung NRW)

1979

Eine neue Geschäftsstelle:
Düsseldorf-Hilden

In der Hochdahler Straße 280 in Hilden eröffnet die dgp ein weiteres Büro. Heute sitzt dort passenderweise das Institut für öffentliche Verwaltung NRW /
Landesprüfungsamt für Verwaltungslaufbahnen (Quelle: Institut für öffentliche Verwaltung NRW).

Nachdem die dgp das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen als Kunden gewinnen konnte, eröffnet die Gesellschaft in Hilden bei Düsseldorf eine dritte Geschäftsstelle. Ihre Leitung übernimmt Dr. Robert Kleinevoss. Er sorgt nicht nur für eine intensive und reibungslose Zusammenarbeit mit dem Innenministerium, sondern gewinnt auch weitere Kund*innen aus Nordrhein-Westfalen. [20]

1985

Bewerber*innen-Boom:
Eignungstests in der Kritik

In den 1980er Jahren strömen die geburtenstarken Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt, was den Konkurrenzkampf um offene Stellen verschärft. Die dgp profitiert von dieser Entwicklung, weil angesichts hoher Bewerbungszahlen wissenschaftliche Eignungstests mehr denn je nachgefragt werden – trotzdem entwickelt sich die Situation zu Ungunsten der dgp.

Öffentliche Kritik an den Eignungstests stellen die Methoden der Personalauswahl in Frage. Abgelehnte Bewerber*innen versuchen sogar, die dgp-Ergebnisse juristisch anzufechten. Der Verlauf der Gerichtsverhandlungen entscheidet über den Fortbestand der dgp: Sollten die Eignungstests als unzulässig erachtet werden, wäre es das Ende der Gesellschaft. Doch ein Grundsatzurteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg 1985 und ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 1988 bereiten den Klagen ein Ende: Die Gerichte folgen dem Urteil eines unabhängigen Sachverständigen und kommen zu dem Schluss, dass die dgp-Eignungstests streng wissenschaftlich und damit zulässig sind. Sie gewährleisten auch bei sehr vielen Bewerber*innen einen transparenten und fairen Auswahlprozess. [21] Daher spricht das Bundesverwaltungsgericht dem Dienstherrn sogar ausdrücklich das Recht zu, die Ergebnisse der dgp-Tests stärker zu berücksichtigen als interne Kriterien.

Auch die Presse wird auf die dgp aufmerksam. Dieser Artikel aus dem Jahr 1990 porträtiert die dgp und ihre Auswahlverfahren. (Quelle: dgp-Archiv)

1980er/1990er

Erweiterung der dgp-
Produktpalette: Assessment-Center

Ab Mitte der 1990er Jahre kann die dgp auf Personalmessen ein neues Produkt präsentieren – die Assessment-Center-Verfahren setzen sich durch. (Quelle: dgp-Archiv)

Die dgp hatte schon immer „Assessment-Center“ angeboten, auch wenn sie anfangs nicht so genannt wurden. Bereits Mitte der 1980er Jahre schlägt die dgp vor, Assessment-Center für die Besetzung von Führungspositionen im öffentlichen Dienst zu nutzen. Die Kunden sind zunächst äußerst skeptisch. Erst Mitte der 1990er, als sich Assessment-Center-Verfahren bereits allgemein durchsetzen, entwickeln sie sich zum zentralen Produkt im dgp-Portfolio. Zur Eignungsfeststellung und Potenzialeinschätzung zählen sie zu den aussagefähigsten Instrumenten. [22]

1991

Go East: Die neue Geschäftsstelle Leipzig

So sieht es 1990 auf einer Informationsveranstaltung in Leipzig aus, bevor die Kund*innen kommen: Anfang der 1990er Jahre stellt sich die dgp in den Neuen Bundesländern vor und unterstützt vor Ort beim Aufbau eines demokratischen Personalwesens. (Quelle: dgp-Archiv)

Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland 1989/90 sind die bedeutendsten Ereignisse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Allerdings prallen nach der Wiedervereinigung sehr unterschiedliche Welten aufeinander: Demokratie und soziale Marktwirtschaft einerseits, sozialistische Planwirtschaft und Diktatur andererseits.

Nach der Wende bittet Leipzig seine Partnerstadt Hannover um Hilfe bei der Reform der Verwaltung. Die dgp, die die Hannoveraner Behörden seit Jahrzehnten betreut, beteiligt sich und gründet 1991 eine Geschäftsstelle in Leipzig unter der Leitung von Joachim Rieke. „Die dgp wurde eigentlich zweimal gegründet“, sagt Ulrich Stadelmaier, Co-Gesamtleiter der dgp: „Immer, wenn ein Systemwandel kam, waren wir dabei.“ Das Ziel der Geschäftsstelle Leipzig gleicht den Gründungsjahren: Der Aufbau eines demokratischen öffentlichen Dienstes auf wissenschaftlicher Grundlage. Auch in den Neuen Bundesländern sollen Stellen nun nach Leistungskriterien besetzt werden, nicht aufgrund der politischen Ausrichtung. In Frage gestellt wurde allerdings, ob das westdeutsche Verfahren einfach so auf den Osten übertragen werden konnte. Die dgp führte entsprechende Studien durch und nahm, wenn notwendig, Veränderungen an ihrem Eignungstest vor, damit ost- und westdeutsche Teilnehmer*innen die gleichen Chancen haben.[23]

1996

Der BIS-r-DGP: Ein neuer Test für den gehobenen Dienst

Grafische Darstellung des Berliner Intelligenz-Strukturmodells nach Adolf Otto Jäger. (Quelle: Wikimedia, Grampians, CC BY-SA 4.0)

Ein Meilenstein in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit der dgp ist der
„BIS-r-DGP“-Test. Er basiert auf dem „Berliner Intelligenzstrukturmodell“ (BIS) des damaligen dgp-Leiters Adolf Otto Jäger von 1982. Jäger entwickelt das Modell im Rahmen des DFG-Projekts „Dimensionen der Intelligenz“. Seine
Kernaussagen wurden mehrfach repliziert, und Jäger – inzwischen Professor an der Freien Universität Berlin – avanciert damit zu einem der bedeutendsten Intelligenzforscher im deutschsprachigen Raum. [24]

Für die dgp entwickelt Dr. Martin Kersting auf der Basis dieses Modells in den 1990er Jahren den „BIS-r-DGP“. Mit diesem neuen Test können intellektuelle Leistungen, die für Ausbildung und Beruf relevant sind, wesentlich differenzierter erfasst werden.[25]

Grafische Darstellung des Berliner Intelligenz-Strukturmodells nach Adolf Otto Jäger. (Quelle: Wikimedia, Grampians, CC BY-SA 4.0)
Dr. Martin Kersting (links) mit Dr. Klaus Althoff (rechts). (Quelle: Privatbesitz)

1997-2002

Entwicklung der DIN-Norm 33430

Dr. Martin Kersting (links) mit Dr. Klaus Althoff (rechts). (Quelle: Privatbesitz)

Auch wenn sich die wissenschaftlichen Eignungstests der dgp auf dem Arbeitsmarkt etabliert hatten, fehlten der Branche noch gemeinsame Qualitätskriterien. Der „Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen“ (BDP) initiierte daher 1997 die Entwicklung einer DIN-Norm für psychologische Testverfahren. Für die dgp gestaltete Dr. Martin Kersting im Arbeitsausschuss die Entwicklung mit.

Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen ist 2002 die „DIN-Norm 33430“, an der sich seriöse Eignungstests orientieren sollten. Sie schreibt z. B. die Qualifikation der Diagnostiker*innen vor, die Anforderungen an Bewerber*innen und die Gestaltung des Auswahlprozess. Damit schützt sie Auftraggeber ebenso wie Bewerber*innen vor unwissenschaftlichen Auswahlverfahren.[26]

1999 geht es nach Berlin: Im Ernst-Reuter-Haus eröffnet die dgp eine weitere Geschäftsstelle. (Quelle: Wikimedia, Janericloebe, CC BY 3.0)

1999

Eine neue Geschäftsstelle: Berlin

1999 zieht die Regierung von Bonn nach Berlin um. Da Ämter und Behörden die wichtigsten Kund*innen sind, zieht die dgp mit nach Berlin. Ina Voigt – seit 1986 Psychologin in der dgp-Geschäftsstelle Düsseldorf – baut im Ernst-Reuter-Haus eine neue Geschäftsstelle auf macht sich an die Akquise weiterer Auftraggeber. [27] Zu Anfang sei es schwierig gewesen, erinnert sie sich, aber bald habe man „einen Fuß in die Tür bekommen.“ Seitdem arbeitet die Geschäftsstelle äußerst erfolgreich.

Geschlechtergerechtigkeit liegt Ina Voigt von Anfang besonders am Herzen, gerade um Frauen in Führungspositionen zu bekommen: „Wir haben einen gesellschaftlichen Auftrag“, sagt sie: „Weil wir mitentscheiden, wer in Führungspositionen kommt, tragen wir als dgp eine enorme Verantwortung.“ [28]

So sah 1999 die Website zum 50-jährigen Jubiläum der dgp aus. (Quelle: https://archive.org/web/)
2000 – heute

Ein neues
Jahrtausend

Ina Voigt leitet 21 Jahre lang die dgp. Eine ihrer ersten Neuerungen ist die Einrichtung der „Stabsstelle Testentwicklung“. (Quelle: dgp-Archiv)

1999

Ina Voigt übernimmt die Gesamtleitung

2001 übernimmt Ina Voigt die Gesamtleitung der dgp. Sie etabliert eine wertschätzende und nachhaltige Führungskultur bei der dgp und ihren Kund*innen. Außerdem treibt sie engagiert die Akquise voran, sodass zahlreiche neue Aufträge gewonnen werden, vor allem aus dem Kunst- und Kulturbereich sowie aus dem Hochschulsektor.

Voigt hat den Anspruch, dass die dgp Entwicklungen antizipiert und inspiriert. Bei aktuellen Themen wie interkulturellem Personalmanagement, betrieblichem Gesundheitswesen oder Geschlechtergerechtigkeit sind daher dgp-Tests und -Seminare führend. Um dauerhaft an der Spitze zu bleiben, gründet Ina Voigt die „Stabsstelle Testentwicklung“, wo Psycholog*innen ausschließlich in der Forschung und Entwicklung von Eignungstestverfahren arbeiten. [29]

seit 2010

Erweiterung der dgp-Produktpalette: Digitale Angebote

Warum müssen Eignungstests in Zeiten der rasanten Digitalisierung eigentlich noch in Präsenz vor Ort stattfinden? Lange vor der Covid-19-Pandemie forciert die dgp ihren digitalen Strukturwandel und bietet ihren Kund*innen bereits seit 2010 Online-Tests an. Seit 2017 gibt es eine digitale Testplattform. Allerdings zögern viele dgp-Kund*innen aus dem öffentlichen Dienst noch bei diesen Online-Angeboten.[30]

2015 verpasst sich die dgp ein neues Corporate Design und geht mit einer überarbeiteten Website live. (Quelle: https://archive.org/web)

2020

Die Covid-19-Pandemie:
Ein Paradigmenwechsel

Im Frühjahr 2020 legt die Covid-19-Pandemie das öffentliche Leben weitgehend lahm. Gruppen-Eignungstests in Präsenz sind plötzlich undenkbar. Nun zahlt sich die jahrelange Vorarbeit der dgp in Sachen digitaler Transformation aus. „Plötzlich wurden Online-Tests selbstverständlich“, erinnert sich Ulrich Stadelmaier, denn die Kund*innen brauchen nun dringend digitale Angebote, und die Zahl von durchgeführten Online-Tests steigt rasant.

Parallel dazu entwickelt die dgp neue Strategien zur Qualitätssicherung und wird zum Marktführer im „Proctoring“, also in der digitalen Beaufsichtigung von Eignungstests. [31] Dank ihrer fortgeschrittenen Digitalisierung übersteht die dgp die Pandemie souverän.

2022/2023

Start in eine neue Ära

Es ist das Ende einer Ära: Nach 36 Jahren dgp, davon 21 als Gesamtleiterin, geht Ina Voigt 2022 in den Ruhestand. Die Leitung der dgp übernehmen Dr. Michael Jaeger und Dr. Ulrich Stadelmaier als sein Stellvertreter.

Alle Führungspositionen bei der dgp werden nun mit Co-Leitungen besetzt. Durch dieses „shared leadership“ mit klaren Ressort-Zuständigkeiten und geteilter Verantwortung soll auch bei Führungskräften die Work-Life-Balance und Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden. Zugleich übernehmen zunehmend junge Frauen Führungspositionen.

Der dgp-Gesamtleiter leitet nun keine Geschäftsstelle mehr, sondern konzentriert sich auf die Gesamtkoordination. Das fördert die Zusammenarbeit der Geschäftsstellen und vereinheitlicht die dgp-internen Prozesse. [32]

Das neue dgp-Führungsteam von links nach rechts: Luciana von Römer, Lilian Topp, Dr. Michael Jaeger, Dr. Ulrich Stadelmaier, Anjuli Strahler, Julia Wagenschieber (Quelle: dgp)

2024

Blick in die Zukunft

Im Zuge der digitalen Transformation und der Implementierung von Anwendungen
künstlicher Intelligenz verändern sich die Arbeits- und Lebenswelt grundlegend.
Hinzu treten die Auswirkungen des demografischen Wandels: Gab es früher mehr
Bewerber*innen als Stellen, fehlen heute überall Fachkräfte. Wird die dgp dadurch
überflüssig? „Im Gegenteil!“, betonen Michael Jaeger und Ulrich Stadelmaier:
„Wissenschaftlich geprüfte Methoden der Eignungsdiagnostik und Personalauswahl sowie ein gutes Bewerbungsmanagement werden sogar wichtiger.“

Die wissenschaftsbasierte Methodenentwicklung in der Eignungsdiagnostik
und Personalauswahl sowie die Beratungsleistung der dgp werden komplexer
und strategischer. So berät die dpg zunehmend auch in Fragen der Organisationsentwicklung, wenn es um Change Management, Führungskultur oder Talentmanagement geht.

Der Bedarf an gezielter und zukunftsorientierter Personalentwicklung seitens
der Kund*innen steigt ebenfalls von Jahr zu Jahr – denn eine Personalentwicklungsstrategie trägt dazu bei, Personal langfristig zu binden. Und in der Eignungsdiagnostik gewinnen modularisierte Onlineangebote und Möglichkeiten der digitalen Beaufsichtigung zunehmend an Relevanz und verlangen nach fortlaufender Evaluation und Produktentwicklung.

Die Strategie der dgp für die Zukunft: die Kompetenzen weiter ausbauen, diversifizieren, bei der Methodenentwicklung weiterhin ganz vorn mit dabei sein und
unsere Kund*innen bei den sich wandelnden Herausforderungen im Bereich der
Personalarbeit bestmöglich unterstützen. [33]

Im Jubiläumsjahr 2024 wird die Satzung überabeitet und ein neuer Vorstand gewählt. 75 Jahre nach Gründung ist die dgp immer noch als Verein organisiert, was sich über die Jahrzehnte hinweg bewährt hat. Seit 1949 hat sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt fast alles geändert – aber nicht der Bedarf nach einer fairen, demokratischen und wissenschaftlich fundierten Personalauswahl und -entwicklung.

Fußnoten / Quellen

Wir bedanken uns beim Geschichtsbüro Reder, Roeseling und Prüfer für die kompetente Unterstützung bei der historischen Recherche.

[1] Schreiben von Kurt Oppler an General McCloy, 18.01.1052, in: BArch N/1290/16; Schreiben von Ellsworth Wolfsperger an die bayerische Militärregierung, 27.09.1948, in: BayHStA, OMGB 13/150-1/044; Hermann-Josef Rupieper, Die Wurzeln der westdeutschen Nachkriegsdemokratie. Der amerikanische Beitrag, 1945-1952, Opladen 1993, insb. S. 173-201.

[2] Rupieper, Wurzeln, S. 180; 199-200; Wolfgang Benz, Versuche zur Reform des öffentlichen Dienstes in Deutschland, 1945-1952, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29,2 (1981), S. 216-245, hier S. 228; Helga Grebing, „Kurt Oppler“, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 577-578 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd137698194.html#ndbcontent, Zugriff am 06.12.2023.

[3] Korrespondenz zur Tagung in Königstein, in: dgp-Archiv.

[4] Satzung der dgp vom 1. April 1949, in: BArch Z/11/241.

[5] dgp Informationen Nr. 1 (1950), S. 1.

[6] Kurt Oppler, Bericht über die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e.V., Frankfurt am Maint, seit 1949 [1952], in: BArch N71290/15.

[7] Prof. Dr. Bachof, Erlangen, Rezension zu den Reiseberichten aus Frankreich, Großbritannien und der Schweiz, in : Der Öffentliche Dienst 15 (1953, S: 478.

[8] dgp Informationen Nr. 1 (1950), S. 1.

[9] Klaus Althoff, Zur Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e.V. und ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Berufseignungsdiagnostik im Nachkriegsdeutschland, in: dgp Informationen Nr. 50 (1990), S. 3-23, hier S. 11-12.

[10] Oppler, Bericht über die Arbeit der DGP.

[11] Ellsworth Wolfsperger, The German Personnel Society [1953], in: BArch N/1290/15.

[12] Rückblick und Ausblick“, in: dgp Informationen Nr. 1 (1953), Beilage, S. 1-2, hier S. 1.

[13] Korrespondenz von Kurt Oppler und General McCloy im Januar und Februar 1952, in: BArch N/1290/16.

[14] Althoff, Zur Geschichte, S. 13; Vater des Amthauer-Tests, in: Höchster Kreisblatt, 30.10.-1.11.1981.

[15] Althoff, Zur Geschichte, S. 11-14.

[16] Ebd., S. 16-17.

[17] Ebd, S. 17.

[18] Katalog „Vorträge – Seminare“ o.J., dgp-Archiv.

[19] Klaus Althoff, Aus der (wechselvollen) Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e.V. (DGP), in: dgp Informationen 56 (1999), S. 61-81, hier S. 70.

[20] Althoff, Zur Geschichte, S. 18.

[21] Ebd., S. 19; Umstritten – die Firma, die 15000 Beamte testet, Neue Presse, 5. März 1990, S. 5.

[22] Interview Kersting, 00:53:59 – 00:55:45; Interview Jaeger/Stadelmaier, 01:06:10 – 01:06:50; Althoff, Aus der (wechselvolle) Geschichte, S. 80.

[23] Interview Michael Jaeger/Ulrich Stadelmaier, 00:05:28 – 00:05:55; 01:10:40 – 01:13:05;Interview Martin Kersting, 00:14:13 – 00:19:19; 00:22:51 – 00:23:05.

[24] Eva Stumpf, Intelligenz verstehen, Stuttgart 2019, S. 39.

[25] Informationen zum neuen Auswahlverfahren der DGP für den gehobenen Dienst, August 1996, in: dgp-Archiv; Stumpf, Intelligenz, S. 36f.

[26] Interview Kersting, 00:47:11 – 00:52:45; Qualitätsstandard DIN 33430 in der Eignungsdiagnostik, in: www.dgp.de/kompetenzen/din-33430/, Zugriff am 07.12.2023; Interview Ina Voigt, 00:30:44 – 00:31:03.

[27] Althoff, Aus der (wechselvolle) Geschichte, S. 80; Interview Voigt.

[28] Interview Voigt, 00:19:23 – 00:20:00.

[29] Interview Voigt, 00:25:03 – 00:26:33.

[30] Interview Jaeger/Stadelmaier, 00:26:47 – 00:27:51.

[31] Interview Voigt, 00:06:30 – 00:07:42; Interview Jaeger/Stadelmaier, 00:24:41 – 00:29:09.

[32] Interview Jaeger/Stadelmaier, 00:08:20 – 00:08:55; 00:12:45 – 00:13:40.

[33] Interview Jaeger/Stadelmaier, 00:14:30 – 00:17:06; 00:39:40 – 00:40:08.